Das Fräulein in der Zentrale
von Max Räb
Ich mag mich noch gut erinnern, als die Gespräche über den Äther liefen: Ein Scheibentelefon oder ein Stöpsel in der Zentrale und los ging’s. Falsche und schlechte Verbindungen mit Geräuschen im Hintergrund kannten wir nicht – ausser bei Überseeverbindungen, da das Kabel im Meer lag und die Leitung eine Verzögerung mit sich brachte. Machte ja auch Sinn bei der Strecke. Es gab wenige Satelliten, doch die meisten wurden vom Militär beansprucht oder den Grosskonzernen der Finanzwelt zur Verfügung gestellt. Sporadisch kamen die Telefonreiniger ins Haus und polierten die Hörer auf Hochglanz – wie die Schuhputzer-Equipe in New York – und am Schluss erhielt die Muschel eine Desinfektion. Die Gabel oder die Druckstellen an den Hörern massierten wir immer selber, damit die nächsten freundlichen und vertrauensvollen Gespräche auch sauber am anderen Ende ankamen. Es war wie ein Mythos, das Telefon selbst zu warten. Es entstanden Geschäfts- und Privatbeziehungen am Telefon, man lachte, man konnte die Probleme einer Unstimmigkeit oder einer Differenz aus der Welt schaffen. Es waren keine computergesteuerten Brieffreundschaften, es waren ehrliche Telefonate. Ein halbes Jahrhundert später würde man auf Neudeutsch sagen: Das war eine geile Zeit.
Dann hielt das Dilemma mit der digitalen Kommunikation Einzug: neue Geräte, neue Anschlüsse mit ISDN und mehr Probleme mit den Verbindungen. Die Telefonnummer vom Anrufer wurde angezeigt und schon war die Überwachung in den ersten Zügen. Die Kommunikation nahm neue Befehle und Regeln an.
Keine Gespräche intern, Kommunikation via Intranet
Zum Glück gab es zu dieser Zeit noch keine KI. Gott sei Dank, denn sonst hätten die Spanner in den Personalabteilungen noch die Garderobe der entsprechenden Sekretärin gesehen.
Wir sind an einem Punkt angekommen, welchen sehr viele Zeitgenossen nicht verstehen und auch nie verstehen werden. Das ganze Geschäft wird nur noch per E-Mail abgehandelt, keine persönliche Substanz mehr und absolut anonym. Die Mails werden meistens nicht einmal gelesen – die Löschtaste liegt doch so nahe. Oft wird es einem dann doch zu bunt, der Griff zum Telefon ist einfach und man versucht, via Kundenzentrale die gesuchte Person zu erreichen. Zur Verbindung mit dem Fräulein in der Zentrale ist eine wirklich nervige und unnötige Arbeit erforderlich. Der Automat meldet sich mit «Wählen Sie die 1, wählen Sie die 1, 2, 3». Nach langem Warten kommt die monotone Antwort wie beim Navi: «Leider sind wir überlastet, rufen Sie uns später an.» Allen ist bewusst: Die Dame ist in der Pause oder lackiert sich möglicherweise ihre Fingernägel. Der andere plausible Grund liegt aber näher: Es wird an Personal gespart.
Beim dritten Anlauf gelingt die Verbindung und eine nicht sehr nette Stimme mit ausländischem Akzent erhebt das Wort und fragt Sie: «Worum geht es? Kann ich helfen?» Doch Sie haben nur eine Abteilung mit Ansprechpartner verlangt. Es geht nicht lange und es kommt wie aus einem Wasserfall: «Ich habe keine Berechtigung der Direktion, die Namen und die E-Mail-Adressen weiterzugeben. Senden Sie uns eine Mail an info@…» Für mich ist das ein sehr schlechtes Geschäftsgebaren und ein Imageverlust für die betroffene Firma. Doch meistens sind es Firmen, die sowieso immer jammern. Fragen sich die Kunden nicht, wieso der Zustand so ist? Springen nicht viele Kunden von einer Bestellung ab? Den Zustand der eigenen Firmen-Telefonzentrale sollten eigentlich leitende Angestellte oder Direktoren im Undercover-Einsatz mit den üblichen Szenarien prüfen, den normalen Weg wiederherstellen und nachvollziehen, wie es zu den Problematiken der Zentrale kam. Dies kann nur jedem zu denken geben!
Telefonieren Sie mehr und warten Sie mit den Mails, es wird sich sicher lohnen. Oder wir warten, bis die Brieftauben wieder ihre Runden drehen und willig die Nachrichten übermitteln.