Sonntag, Dezember 22

Künstliche Embryonen: Für die einen klingt das nach ethisch fragwürdigen Menschenexperimenten, für die anderen nach Hoffnung auf medizinische Durchbrüche. Fragen an die Basler Systembiologin Prisca Liberali zu Sinn, Unsinn und ethischen Grenzen dieser Forschung.

Prisca Liberali


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Die Systembiologin Prisca Liberali erforscht am Friedrich Miescher Institut in Basel, wie Gewebe entstehen, wie Zellen zu dem werden, was sie werden sollen, und wie sie untereinander kommunizieren.

SRF: In den letzten Wochen gab es Meldungen über künstliche Embryonen, die im Labor bis etwa Tag 14 nach der Befruchtung herangereift seien. Was halten Sie von solchen Arbeiten?

Prisca Liberali: Sie sind wichtig. Bisher ist diese ganz frühe Phase für uns eine «Black Box», weil wir das in der natürlichen Umgebung praktisch nicht untersuchen können. Die wenigsten Frauen wissen dann schon, dass sie schwanger sind, und bis zum ersten Ultraschallbild ist es noch weit. Die ersten Tage und Wochen anzuschauen, das geht nur im Labor. Natürliche, echte Embryonen, die Forscher nutzen können, sind sehr rar, und vieles können wir daran aus ethischen Gründen auch gar nicht untersuchen. Deshalb: Die künstlichen Embryonen sind wichtig, um diese frühen Schritte am Lebensanfang zu verstehen.

Was nutzt es, hier mehr zu verstehen?  

Es geht auch und gerade um die Gesundheit von Frauen. So viel über diese ersten Tage und Wochen der Schwangerschaft ist noch unbekannt. Mehr Wissen über den Embryo bedeutet auch mehr Wissen über die Schwangerschaft, also auch über die Gesundheit von Frauen. Hier gibt es noch so viel zu tun. Die künstliche Befruchtung arbeitet immer noch mit sehr hohen Hormondosen, auch die hormonelle Verhütung funktioniert heute fast so wie vor Jahrzehnten.

Viele, die mit medizinischer Unterstützung schwanger werden wollen, brauchen unzählige Versuche. Das ist nicht gut.

Aber muss man dafür wirklich künstliche Embryonen erzeugen?

Wir wissen nicht, was der Embryo in dieser Zeit genau braucht. Wir wissen zu wenig darüber, was passiert, wenn er sich in der Gebärmutter einnistet. Wenn wir das im Labor nachstellen können und so Schritt für Schritt besser verstehen, ist das nicht nur Wissenschaft um der Wissenschaft willen, sondern das kann wirklich die Fruchtbarkeitsmedizin besser machen. Ich meine das nicht im Sinne von «noch mehr Frauen schwanger werden lassen», sondern im Sinne von besseren Methoden, auch schonenderen und effektiveren. Viele, die mit medizinischer Unterstützung schwanger werden wollen, brauchen unzählige Versuche. Das ist nicht gut. 

Aber auch bei natürlichen Schwangerschaften gehen in dieser ganz frühen Phase doch sehr viele Embryonen verloren. 

Ja, die Erfolgsrate beim Menschen in dieser ganz frühen Phase ist wirklich schlecht. Frühaborte sind häufig, oft unbemerkt. Und wir wissen nicht wirklich, warum das beim Menschen so ist. Bei Mäusen zum Beispiel ist es ganz anders. Solange wir das nicht besser verstanden haben, bleibt es auch schwierig, die Fruchtbarkeitsmedizin besser zu machen. 

Die Frage ist auch: Wer entscheidet, was moralisch noch in Ordnung ist und was nicht mehr?

Trotzdem bleiben die ethischen Fragen. Ist es in Ordnung, menschliches Leben derart gezielt nachzubauen für Forschungszwecke? 

Das ist ein wichtiges Thema und eine Antwort darauf habe ich nicht. Vielleicht ist es für manche Experimente ok, für andere dagegen nicht. Die Frage ist auch: Wer entscheidet, was moralisch noch in Ordnung ist und was nicht mehr? Ich denke, das sind Fragen, die wir offen diskutieren müssen. Wir müssen anfangen, uns diese Fragen zu stellen. Jedes Land hat hier andere Werte und es ist nicht überall gleich einfach, über diese Themen zu sprechen. Ich habe eben einen Kongress in Grossbritannien dazu organisiert. Dort wird viel mehr über dieses Thema gesprochen und öffentlich diskutiert, die Debatte ist viel weiter. Hier in der Schweiz wird noch sehr wenig darüber gesprochen.

Das Gespräch führte Katrin Zöfel.


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