Der Figaro ist eine Figur, die in den Opern «Der Barbier von Sevilla» und «Die Hochzeit des Figaro» vorgestellt wird. Der Name Figaro wird heute mitunter als Synonym für «Friseur» verwendet, er war ein Held und erlebte grosse Abenteuer. Damit begegnete er auch vielen interessanten Menschen, die ihr Glück gefunden haben. Und auch er fand das Glück.
Haben Sie sich schon mal umgeschaut und Gedanken gemacht, wie viele Friseursalons es in Ihrer Nähe gibt? Salons gibt es wie Sand am Meer und sie spriessen immer häufiger aus dem Boden. Es ist unglaublich, wer nicht alles die Coiffeur-Prüfung absolviert hat. Die neuen Stuben heissen Haaroase, die perfekte Welle oder die Lockenlounge. Nicht zu vergessen die Bazarshops Ali oder Mustafa mit all ihren Angeboten von der Nassrasur bis zum Säubern der Nasen- und Ohrenlöcher mit einem Einwegfeuerzeug im 100-Meter-Takt. Hat denn die überalterte Wohngegend noch so viele Kunden, die ihre Locken schneiden? Das Liga-Lädeli-Sterben ist vorbei, also werden die alten Lokalitäten an die Haar-Handwerker vermietet. Das Inventar kommt aus der gleichen Ecke wie die chinesischen Restaurants, alles gleich und kostengünstig. Keine spezielle Inneneinrichtung oder Atmosphäre.
Der Trend heute bei den Jungen ist doch eher auf die eigene Frisur ausgerichtet. Viele Schnitte werden in der heimischen Stube geschnipselt – zum Leidwesen der Mutter, wenn die Haarreste mit einem alten Roller-Staubsauger zu entfernen versucht werden. Die Walliser Bauern scheren ihre Schafnasen auch mit einer speziellen Schere, doch können die Haare weiterverwendet werden und schmecken nicht nach den letzten Wochen, den Partytouren in feuchten Etablissements mit all dem Rauch und den Geschmäckern, welche immer noch nach einem orientalischen Bazar duften.
Die Namen von Frisuren wie Afrolook und Irokesenschnitt kannte früher jedermann. Heute werden Umschreibungen wie Buzzcut, Comb-over à la Donald Trump oder gar der Wolfcut angeboten. Oder soll der Schnitt hochrasiert bis zum Deckel sein, mit Farben und Motiven, welche am Samstagmorgen für die Party am Abend beim Styler in die richtige Form gebracht werden?
Es muss alles zügig gehen, wie vor Jahren bei den ersten Burger-Anbietern: rein, bestellen, bezahlen, einpacken und verschlingen und alles ist für den Gaumenschmaus erledigt. Der Schnitt im Akkord ist keine Ehre und Anerkennung für den Künstler. Die Stühle werden in den Stunden bei maschinellem Kurzschnitt bis zu drei Mal besetzt. Auf die Schnelle ist natürlich auch nicht schlecht, doch sollte man sich langsam überlegen, sich nicht einen professionellen Haareschneider zuzulegen, denn die Preise stiegen in den letzten Jahren weit höher als die Inflation. Natürlich haben sich die Zeiten geändert.
Der Klatsch, welcher in den Salons kursierte, ist vorbei. Keiner traut sich mehr, über alltägliche Dinge zu lästern, die den Schwatztanten schaden könnten. Die Regenbogenpresse ist auch auf ein Minimum geschrumpft und nicht mehr in Stapeln aufgelegt. Auf eine Art verständlich, dass nicht nur über Egli und Bohlen gelesen werden kann, sondern auch für weniger Intellektuelle nur Bildli angeschaut werden können.
Die alten Barbiere haben die Arbeit zelebriert. Der Tag begann mit Tratsch aus der heimischen Gegend und der Gazzetta dello Sport, welche den ganzen Tag mit den italienischen Fussballkommentaren diskutiert und auch immer mit einem Espresso oder Pony-Bierchen offeriert wurde. Nach diesen Ritualen wurde auch langsam der Friseurmantel vom Vorgänger geschwungen und am zu dicken Hals mit einer Verlängerung fixiert. Der Frontspiegel war schon angeschlagen und der kleine Spiegel für die Glatzenanschauung von hinten hatte auch schon bessere Zeiten gesehen. Niemand hat es gestört, keiner reklamierte und das Gesundheitsamt sass ja auch auf demselben Stuhl.
Auch in den Salons für die Dame gab es noch viele andere Gewohnheiten. Dauerwellen brauchten ihre Zeit. Nach dem gewünschten Waschen, Legen und Föhnen wurde das Haupt unter die Glocke gepresst, die Wickler wurden gestrafft und auf heiss gestellt. Es war doch plötzlich Ruhe auf dem Stuhl eingekehrt. Der Lärm der Ventilation überschlug das weibliche Dauergezwitscher und ratterte für einige Zeit vor sich hin – zur Freude der Angestellten und des Chefs. Man kann es auch professionelle Betäubung aus der Antike nennen. Am Schluss waren die Dauerwellen mit dem Farbglanz je nach Gusto endlich fertig, die Rechnung schon anno dazumal happig. Die Damen stolzierten mit den hochtoupierten Haaren aus der Coiffeur-Boutique, die Schritte wie auf einem Laufsteg oder einem roten Teppich, um sich den Nachbarn zu präsentieren. Zum Leidwesen der männlichen Herrschaft zu Hause roch die ganze Stube nach den Wässerchen, schlimmer als das Eau de Cologne, oder auch Düfte der Welt «4711» genannt, doch die ganze Stolzness der Coiffeurgängerinnen überragte alles.
Heute hängen amerikanische Leuchtreklamen an den Fassaden, ihre Wellen in verschiedenen Farben sollen möglicherweise auf eine Locke hinweisen, wer weiss …
Moderne Figaros schneiden, schnippeln und polieren nicht nur. Wer einen Namen hat und etwas auf sich hält, verwandelt seinen Salon mit wenig Stühlen in eine Apéro-Bar oder Cüpli-Bar, dekoriert eine Art Fastnachtsstube und Schnitzelbängge werden nach dem Haareschneiden auch gesungen. Literaturvorträge und, nicht zu vergessen, das kleinste Musical werden durchgeführt. Man könnte meinen, das Rad wurde neu erfunden.
Der Figaro, ob gut oder schlecht, hat seinen Beruf neu erfunden. Allrounder wäre der falsche Ausdruck; er gleicht mehr einem Clown, der seine verschiedenen Talente im Gebiet der Unterhaltung sucht und damit sicherlich vielen Kunden, welche nicht gerade die Locke schneiden wollen, viel Freude bereitet. Ist das denn noch normal?

