Sonntag, Dezember 22

Weniger Fehlbesetzungen, mehr Wettbewerbsstärke

Autorin: Nilgün Aygen

Das Right-Fit-Prinzip bestimmt durch drei Komponenten darüber, ob eine Einstellung erfolgswahrscheinlich ist. Beim Skill-Fit (den Hard Skills für eine Position) geht es um die fachliche Expertise, beim Culture-Fit darum, ob die Kandidaten kulturell mit dem Unternehmen, seinen Werten und Gepflogenheiten zusammenpassen. Einem Profiling des Job-Fit, um den es in der Folge gehen soll, kommt deshalb eine unverzichtbare Rolle zu, weil es hierbei um die persönlichen Qualifikationen eines Bewerbers (die Soft Skills) jenseits der fachlichen geht. Schliesslich stellt man auch kein wandelndes Lexikon als Lehrer an, dem es an grundlegenden sozialen Kompetenzen im Umgang mit Kindern fehlt. Leider kommt man an die Wahrheit zu diesen Qualifikationen nicht so leicht wie mit einem simplen Test heran. Die meisten Menschen zeigen während ihres Bewerbungs- und Interviewprozesses nur einen Bruchteil dessen, was sie sind – vielleicht zehn Prozent. Ein Grossteil ihrer Persönlichkeit, ihrer Vorlieben und ihrer Interessen bleibt unter der Oberfläche verborgen.

Welche Komponenten hat der Job-Fit?

Grundsätzlich können drei Komponenten festgehalten werden. Erstens die beruflichen und karrierebezogenen Interessen:Ist die Person wirklich an dieser Art von Arbeit, den zugehörigen Aufgaben und Zuständigkeiten interessiert? Falls ja, wie sieht dieses Interesse aus? So sollte zum Beispiel eine Vertriebskraft zwar ganz trivial Freude am Verkaufen haben, es aber auch lieben, mit Menschen zu arbeiten und sie zu überzeugen. Auch ein gewisser Kampfgeist gehört dazu, besser als die Kollegen zu sein, oder bei kniffligen Kunden am Ball zu bleiben, statt woanders leichtes Geschäft zu suchen.
An zweiter Stelle stehen die Persönlichkeitsmerkmale: Erstrebenswert sind Eigenschaften, die nicht generell gut sind, sondern konkret zur Rolle passen, die es zu besetzen gilt. Ein guter Verkäufer ist nicht introvertiert, sondern begeisterungsfähig, geht gerne aus sich heraus und auf Menschen zu. Er ist optimistisch und geht mit Rückschlägen und Zurückweisungen so um, dass er doch noch gute Chancen auf ein Geschäft hat.

Und drittens die kognitiven Fähigkeiten: Überraschend liegt der Fokus hier nicht zuerst auf der Intelligenz, sondern eher auf Lernstil, Lerngeschwindigkeit und der Informationsverarbeitung. Auch Faktoren wie emotionale Intelligenz gehören dazu und können am passenden Ort fehlende akademische Talente mehr als ausgleichen. Eine erfolgreiche Kraft im Vertrieb ist schnell und gut darin, Informationen zu verarbeiten, verfügt über emotionale Intelligenz und ist rhetorisch begabt. Anders wäre es bei einem Ingenieur, der mathematische Fähigkeiten, oder einer Führungskraft, die neben Durchsetzungsstärke strategische Begabungen haben sollte.

Welche Methoden bestimmen den Job-Fit?

Im Wesentlichen existieren drei Methoden, um den Job-Fit eines Kandidaten zu bestimmen: wissenschaftliche, eignungsdiagnostische Instrumente, teilstrukturierte Interviews sowie Rollenspiele und/oder Fallstudien. Dabei sollte jedes der eingesetzten Werkzeuge die drei kritischen Job-Fit-Fragen abdecken:

  • Mentale Fähigkeiten – kann diese Person diesen Job leisten?
  • Verhalten – besitzt diese Person die erforderlichen Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale für diesen Job?
  • Berufliche Interessen – will diese Person diesen Job leisten? Wird sie daran Freude haben?

Den Interviews kommt in diesem Komplex eine besondere Rolle zu. Die Fragen sind in der überwiegenden Zahl offen gestellt und lassen komplexere Antworten zu, um einen tieferen Einblick in die Persönlichkeit zu ermöglichen. Hier wieder einige Beispiele aus dem Vertrieb: Wie stellen Sie sich die für Sie optimale Kundenbeziehung beziehungsweise den optimalen Kundenkontakt vor? Welche Vorlieben haben Sie diesbezüglich? Wie gehen Sie normalerweise vor, um ein Netzwerk an Kontakten und Kaufinteressenten aufzubauen? Welchen Stellenwert hat für Sie «Small Talk» für Ihren Kontakt zu Kunden und Interessenten?
Hinzu kommen weitere Fragen, die die Persönlichkeit der Bewerber im Fokus haben: Mit welchen drei Adjektiven würden Sie sich am treffendsten selbst beschrieben sehen? In welchem Bereich sehen Sie bei sich den grössten Spielraum für Verbesserungen? Nennen Sie mir eine Stärke, die Sie jetzt nicht besitzen, aber sehr gerne hätten. Welche Pläne haben Sie, um diesen Punkt zu verbessern? Gibt es etwas, das Sie an sich gerne ändern würden? Was wäre das und warum würden Sie es gerne verändern?

Alle diese Fragen sind nicht willkürlich gestellt, sondern suchen nach Antworten, die für die konkret ausgeschriebene Stelle von Belang sind.

Wie sieht der Job-Fit für eine Position aus?
Dem diagnostischen Job-Fit-Profiling sollte stets ein vorher schriftlich festgelegtes Jobprofil vorgeschaltet sein. Die Verschriftlichung sorgt dafür, dass dieses Profil konkret, vollständig und ohne schwammige Vorstellungen ist. Die dafür im Haus möglichen Verfahren sehen unter anderem so aus:

Experteneinschätzungen
Ein strukturierter Fragebogen erhebt bei kenntnisreichen Stakeholdern (wie Vorgesetzten, direkten Mitarbeitern oder HR-Experten) aus dem Umfeld der zu besetzenden Stelle, welche Anforderungen für den Erfolg dort welche Bedeutung haben.

Interne Benchmarks
Bei Jobs mit messbaren Erfolgskriterien lassen sich bei bekannten Top-Performern Job-Fit-Merkmale herausarbeiten, die diese gemeinsam haben. Diese werden dann zu wichtigen Kriterien bei den Neueinstellungen.

Externe Benchmarks
Ausgefeilte Bewertungsinstrumente enthalten oft eine Datenbank mit vorgefertigten Benchmarks, die für diese Position in der Branche Gültigkeit beanspruchen können. Diese können bei fehlenden internen Möglichkeiten oder zusätzlich zu diesen herangezogen werden.

So geht der Job-Fit!
Naturgemäss kann der Prozess des Job-Fit-Profilings an dieser Stelle nur in Grundzügen umrissen werden. Die nötigen diagnostischen Werkzeuge sind nicht immer leicht zu handhaben und sollten nur in kundigen Händen Verwendung finden. Je nach Unternehmensgrösse und -anspruch kann zu Beginn mit externen Experten zusammengearbeitet und sukzessive eine eigene Kompetenz in der Organisation aufgebaut werden.

Gehört der Job-Fit erst einmal zu den diagnostischen Standardverfahren, sinkt die Gefahr von Fehlbesetzungen und das Unternehmen gewinnt in allen Bereichen spürbar an Wettbewerbsstärke.

Über die Autorin
Geboren in Istanbul, besitzt Nilgün Aygen einen amerikanischen Bildungshintergrund. Die Gründerin mehrerer internationaler HR-Unternehmen ist die Geschäftsführerin (DACH) von Profiles International, einem Spezialisten für Online-Assessments, und von ValYouBel, einem Unternehmen für Talent-Relationship-Management mit eigener digitaler Serviceplattform.

Recruiting Revolution
Neue Talent-Management-Strategien zur Gewinnung der besten Talente auf dem umkämpften Arbeitsmarkt

Nilgün Aygen
Wiley-VCH
336 Seiten
ISBN 978-3-527-51113-6

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